Mehr Morgen wagen!

Mehr Morgen wagen!

Guten Morgen! Vor ein paar Jahren hat ich ein einprägendes Erlebnis. Für unsere Schülerzeitung ging ich Klinkenputzen, um ein wenig Werbung zu verkaufen. Die Druckkosten sollten wenigstens zum Teil gegenfinanziert werden. In einem Laden, es war eine Glaserei, stand eine Schlange vor dem Tresen. Artig wie ich war oder war es meiner Schüchternheit geschuldet, wartete ich geduldig und sagte als ich dran kam:

„Guten Morgen!“

Inzwischen hatte ich mir den Laden angesehen, Zeit genug hatte ich ja gehabt, und festgestellt, dass ich es hier mit dem Zunftmeister der Glaserinnung von Berlin zutun hatte. So stand es auf einer angestaubten Urkunde, die hinter Glas an der Wand hing.

„Moment!“ sagte der Meister und verschwand hinter einem Vorhang im Ladeninneren und ließ mich alleine mit meiner Unsicherheit zurück. Was war jetzt los? Er hatte mich so seltsam angesehen. Das Ganze erinnerte an ein Theaterstück und ich war Publikum und Schauspieler zugleich.

Er kam eine halbe Ewigkeit später zurück, mit seiner Frau im Schlepptau. „So junger Mann“, raunzte er mich mit großen Augen an, „Jetzt noch mal bitte!“ Ich schaute ihn ungläubig an. „Na, was Sie eben gesagt haben!“

„Guten Morgen?“

„Hast du das gehört?“ sagte er zu seiner Frau. „Hast du das gehört!!!“ Ich wußte nicht, wie mir geschah, den beiden schienen die Tränen in den Augen zu stehen. „Wann haben wir DAS das letzte Mal gehört? Immer stürmen alle gleich rein, wollen dieses und jenes, aber so was?“

Die beiden nickten sich zu wie ein altes glückliches Ehepaar. Wahrscheinlich waren sie das auch. Und ich stand schweigend dabei, überlegte schon zu gehen. Aber das Theaterstück war noch nicht zu Ende. Der Zunftmeister zeigte auf die verstaubte Urkunde an der Wand hinter ihm. „Dass ich das noch mal erleben darf, ein Guten Morgen! Aber sagen Sie, junger Mann, warum sind Sie eigentlich zu uns zu kommen? Ich höre Ihnen jetzt zu, Sie haben mein Ohr!“

Ich erzählte von unserer Schülerzeitung, zeigte ein Musterexemplar und die freien Werbeflächen und der Glaser zeigte ohne mit der Wimper zu zucken auf eine der größeren freien Flächen. Ich hatte meine erste Anzeige verkauft und einen Glaser zu Tränen gerührt. Was für ein guter Tag, was für ein Morgen. In diesem Sinne sage ich, wir sollten mehr Morgen wagen, damit es ein Guter Morgen wird.

Mit dieser Glosse starte ich eine kleine Serie, die dem Morgen gewidmet ist, ein bisschen Schmunzeln, ein bisschen Nachdenken. Jetzt geht´s los – besser heute als morgen!